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Tanz der Lehrer

Der Schnee fiel schwer auf den Hut von Professor Reiser. Die Kutsche quälte sich langsam durch die hohen Schneewehen, die sich auf dem Weg angesammelt hatten. Nicht nur Glocken hingen bimmelnd von der Kutsche, sondern auch ein paar Knoblauchzehen. "Was war das?" rief Herr Härle ängstlich, und drückte sich noch näher an Professor Reiser heran. Dieser schaute nur kurz aus seinem Buch auf und fragte "Was?".
Nach etwa einer halben Stunde kam die Kutsche leise bimmelnd vor dem Gasthaus zum Stehen. Der Professor stand auf, schüttelte den Schnee von seinem Mantel, und wechselte ein paar leise Worte mit dem Kutscher.
Das Gasthaus war eine Insel der Ruhe, in dieser sturmgepeitschten Landschaft; Ein warmes Licht fiel aus den Fenstern auf den weißen Schnee, und einen Brunnen im Hof. In der offenen Tür stand der Wirt und wartete auf seine Gäste. Beim Anblick der Tür wurde der Professor ganz aufgeregt, und redete mit seinem Gehilfen.
"Haben sie den Knoblauch über der Tür gesehen? Sie sind hier, ich bin mir ganz sicher." "Hoffentlich kommen sie nicht schon heute Nacht." Der Professor schlug ihm mit seiner Tasche über den Kopf. "Reden sie keinen Unsinn, wir haben genügend Knoblauch hier, um ein ganzes Heer zu versorgen".

Um sein Zimmer zu schützen, packte Professor Reiser seine Reisetasche aus. Obwohl er vom Wirt MacHuber ein Zimmer direkt unter dem Dach bekommen hatte, gab es doch noch ein Fenster zum Hof. Das Fenster wurde noch mit einem kleinen Kruzifix behängt, um die Wirkung des Knoblauchs zu ergänzen. Ein Hammer und ein Holzpflock kamen auf den Nachttisch, falls der Obervampir Pichon persönlich kommen würde, und ein großes Kruzifix stellte er auf den großen Tisch.

Härle machte vorsichtig die Tür auf. Mit leisen Schritten trat er ins dunkle Zimmer. Leise schloß er die Tür wieder und griff nach der Kerze, um sie anzuzünden, als er das Geräusch hörte. Ein leises Planschen kam aus dem Nebenzimmer. Härle beugte sich langsam zum Schlüsselloch. Die Nichte des Wirtes, die ihm als Fräulein Herkommer vorgestellt wurde, badete im Nebenzimmer.
Das Knirschen der Tür weckte Härle aus seiner Trance. Der Professor stand an der Tür, gekleidet in seinen besten Anzug. Er sah in ihm aus wie eine Vogelscheuche.
Ein erstickter Schrei drang aus dem Nebenzimmer. Sofort sprangen unsere beiden Helden zur Tür und stemmten sie auf. Das Bad war leer. Ein wenig Schnee fiel durch das zerbrochene Dachfenster, und ein schwarzer Schatten hetzte mit langen Schritten über den Hof.

Beim Abendessen herrschte eine bedrückte Atmosphäre. Niemand konnte das Unglück fassen, daß so schnell über die Gaststätte gekommen war. Härle und Professor Reiser unterhielten sich leise über die Möglichkeit, daß ein Vampir das arme Fräulein Herkommer geschnappt haben könnte.
Aber wie erkennt man denn solch einen Vampir?", fragte Härle mit gedämpfter Stimme. "Nur ein Vampir spiegelt sich in einer Schultafel, aber dafür nicht in einem ganz normalen Spiegel."
"Und wie bringt man einen Vampir um?"
"Ein Bleistift mitten durchs Herz, aber nur einen H-Stift. Ein weicher Bleistift oder ein Filzstift ärgert sie nur. Gegen den Obervampir Pichon nützt aber, gar nichts, der stirbt nur wenn ihn ein Sonnenstrahl berührt."
Mit einem Mal war es ganz still im ganzen Zimmer. MacHuber flüsterte: "Habt ihr auch etwas gehört?" Und wirklich von draußen hörte man ein Kratzen. Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf MacHuber. "Na gut ich schaue nach.", sagte MacHuber, zog sich einen Mantel an und stapfte in dem wehenden Schnee.

Ein gellender Schrei kam von draußen.
Die ganze Gesellschaft hielt den Atem an.
Die ganze Gesellschaft blickte betroffen zu Boden. Die ganze Gesellschaft schniefte nur trauernd, aber Professor Reiser sprang auf und zog Härle hinter sich her. Das Mondlicht fiel auf den Hof und glitzerte hier und dort im Schnee. Keine zehn Meter von Professor Reiser entfernt lag eine zusammengekrümmte Gestalt im Schnee. Eine Blutlache bildete sich unter dem Kopf. "Komm, faß mit an!", sprach Reiser und zerrte seine mehr oder weniger tote Last mit sich durch den Schnee auf das Gasthaus zu. Härle unterstützte ihn tatkräftig, in dem er mit zwei spitzen Fingern den Kragen von MacHuber mitzog.

Nach fünf Minuten lag der Tote auf dem großen Tisch im Gasthaus. Professor Reiser wurde fast von der gaffenden Menge erdrückt, die auch alle einmal einen Blick auf ein Vampir-Opfer werfen wollten. In der einen Hand hielt er einen Bleistift und in der anderen einen großen Holzhammer.
"Aber Frau Huber, reißen sie sich doch zusammen, um die Seele ihres Mannes zu retten muß es getan werden.", sprach Reiser und drückte Frau Huber den Bleistift und den Hammer in die Hand.
"Geben sie sich doch einen Ruck."
"Aber warum muß es gerade ein H3 Bleistift sein", fragte Frau Huber und warf einen besorgten Blick auf die penibel geschärfte Spitze der Bleistiftes.
"Wenn sie einen HB oder sogar noch einen weicheren Bleistift benutzen, so wirkt es nicht. Ich erinnere mich da an eine Geschichte im Jahre 1991, da versuchte ich einen armen Mann mit Namen Wall zu retten, hatte aber nur einen B2 Bleistift in meiner Tasche und am nächsten Morgen war etwas Schreckliches mit meinem Zimmernachbarn geschehen."

Trotz heftigstem Zureden konnte sich Frau Huber nicht dazu durchringen, ihrem Mann einen Bleistift durchs Herz zu hämmern und so wurde die Entscheidung, was mit der Leiche geschehen sollte bis auf den nächsten Morgen verschoben. Das ganze Gasthaus ging zur Ruhe und Professor Reiser hoffte inständig, daß er sich geirrt hatte und MacHuber eines natürlichen Todes gestorben war.

Der Morgen begann mit einem Schrecken. Frau Huber war verschwunden, und ein Gast mit Namen Kiebler lag mit zerrissener Kehle und halb angeknabbertem Fuß in seinem Bett.
"Der hat ihnen wohl nicht geschmeckt", sagte Professor Reiser und Härle nahm sich fest vor, sollte ein Vampir ihn aufessen, so würde er ihm schwer im Magen liegen.

Für Professor Reiser stand nun fest, daß er den Weg zum alten Schloß nehmen müßte und wenigstens die hübsche Fräulein Herkommer aus den Klauen der reißenden Bestien befreien mußte. Der ängstliche Herr Härle wollte zwar zuerst nicht mit, aber dachte dann an die vielen Erfolge seines Meisters und die vielen Toten im Gasthaus und stieg dann schließlich doch auf den Schlitten. Seine Taschen waren voller Knoblauch.

"Was war das?", hauchte Härle Professor Reiser schreckhaft ins Ohr. Reiser schaute aus seinem Buch auf, und verharrte eine Minute still. Außer den Knirschen der Kufen auf dem Schnee und dem heulenden Wind war nichts zu hören. "Was meinen sie?" Beide Personen lauschten noch einmal für eine volle Minute. "Es hat sich wie ein Wolf angehört."
"Ach seien sie doch nicht kindisch, hier gibt es doch überhaupt keine Wölfe."

Die Flucht vor den Wölfen war eine chaotische Angelegenheit. Während Herr Härle die beiden Pferde zu Höchstleistungen anspornte (mit einem Holzbrett aus dem Schlitten) versuchte Professor Reiser die Wölfe dadurch zu irritieren, daß er sie mit Knoblauch bewarf. "Wie weit ist es noch?", rief der Professor laut, um den rauschenden Fahrtwind und das laute Wolfsgeheul zu übertönen.
"Ich kann das Schloß schon sehen", rief Härle zurück und wäre fast aus dem Schlitten gefallen als er um eine Kurve fuhr.
"Die Wölfe bleiben zurück", schrie der Professor und warf eine gut gezielte Knoblauchzehe, die einen Wolf am Kopf traf.
"Was, sie wollen zurück. Sind sie verrückt?"
"Ja sie bleiben zurück", antwortete Reiser.

Schließlich fuhren unsere beiden Helden (zerkratzt und zerbissen) in den Schloßhof ein.
Das düstere Gemäuer schien noch im finsteren Mittelalter gebaut worden zu sein und die dicken Mauem schienen seit jener Zeit alles Licht der Erkenntnis erfolgreich abgeblockt zu haben.
Mitten auf dem Hof waren etwa 50 Gräber verteilt, bei manchen war der Grabstein schon umgekippt und von Moos überwuchert, andere Grabsteine sahen noch einigermaßen neu aus.
Während sich Professor Reiser langsam und leise auf das Hauptgebäude zuschlich, versuchte sein Gehilfe die Inschrift auf einem der Grabsteine zu entziffern. Nach einigem Kratzen hatte er sie freigelegt.

Mac.Maier von Metro-Goldwin
* 1457
V 1473
Sein Geist möge in Frieden ruhen,
auch wenn wir nicht alle Teile von
ihm hier vergraben konnten.
Als er das gelesen hatte, verging Härle sehr schnell die Lust, sich auf eigene. Faust an diesem unheimlichen Ort herumzutreiben und er huschte schnell hinter seinem Lehrmeister her.

Im Eingangssaal prallte er mit ihm zusammen, als Reiser plötzlich stehenblieb.
Von den Wänden hingen schwere Teppiche, die Szenen darstellten, die sich Härle lieber nicht so genau anschauen wollte.
Im Schein der brennenden Kerzen konnte Härle eine Gestalt erkennen, die seine tiefsten Alpträume heimsuchte. Graf Pichon.
Obwohl eine schwere schwarze Kapuze seine Gesichtszüge verhüllte, konnte man im Schatten die tückisch glitzernden Augen erkennen.
"Guten Abend", sagte eine Stimme die sich nach tiefen feuchten Grüften anhörte, "Was führt Sie hier her in mein bescheidenes Schloß?"
"Oh, wir waren nur auf der Suche nach Riesenfledermäusen." Der Professor brachte wirklich noch ein Wort heraus.
"Das trifft sich aber gut, ich interessiere mich auch für Fledermäuse..."
Härle konnte sich nur langsam daran gewöhnen, daß er noch immer Blut im Körper hatte. Während sich Graf Pichon und Professor Reiser angeregt über die Schwierigkeiten der Fledermausbeobachtung unterhielten schlicht sich unser ängstlicher Held leise durchs Schloß um die besten Verstecke auszukundschaften. Das erste "Zimmer, an das er kam, schien ein Gästezimmer zu sein. Ein riesiges Himmelbett beherrschte den Raum. Plötzlich hörte Härle leises Singen aus dem Nebenzimmer. Den ersten Moment lang war er erschreckt, aber dann sagte er sich, daß ein Vampir wohl nicht mit einer so schönen Frauenstimme singen würde. 'Fräulein Herkommer', fiel es Härle mit einem Mal ein und stürzte ins Nebenzimmer. Er bereute es gleich. Fräulein Herkommer saß in einer kunstvoll verzierten Messingwanne und badete.
"Hallo", sagte Fräulein Herkommer.
"Ah... Hallo", sagte Herr Härle.
"Wie geht es dir?" "Oh... Ah... Bis jetzt geht es mir noch gut. Wie bist du eigentlich hergekommen?"
Weiß ich nicht, aber es ist alles so aufregend hier. Der Graf hat mich persönlich empfangen und ich hab ein so großes Zimmer und heute Nacht gibt es einen Ball."
Zufällig schaute Härle aus dem Fenster. Im hellen Mondlicht konnte er genau sehen, wie sich die Grabplatten bewegten. Ein unheimliches Ächzen tönte von unten herauf, während die Dame in ihrer Wanne immer noch weiterplanschte und darüber sprach, wie aufregend und wundervoll doch alles sei. Die ersten Grabdeckel waren schon von den Gräbern gerutscht. Vermoderte Gestalten hoben sich aus den Gräbern, alle in zerfetzte Ballkleider gehüllt.
Härle stürzte voller Grauen aus dem Zimmer und die Treppe herunter. Er traf seinen Lehrer im großen Saal. Der ganze Raum war für einen Ball hergerichtet. Eine kleine Kapelle spielte sich schon einmal warm und ein Butler lief herum und zog die Tischdecken glatt.
"Kommt wir wollen die Gäste begrüßen", sagte der Graf und führte Professor Reiser zum Eingang.
Als erstes kam Graf Stehle und Gräfin Storz, beide schon sehr vermodert.
Danach kam Herr Hep von Ach mit seiner Fräulein Schönlacher, die wie immer ihr reizvolles Parfüm "After Smoke" (eine Mischung aus Zigaretten und Chanel No.5) trug. Herr Hep von Ach trat sofort an Professor Reiser heran und klopfte ihm auf die Schulter. "Wir verstehen uns", sprach er.
Danach trat ein haariges; Wesen ein, das sich als Herr Mantel vorstellte. Die dichte Haarpracht verdeckte das ganze Gesicht und auch einen großen Teil des Körper.
Als Überraschungsgast des Abends kam Fräulein Herkommer, die in ihrem Abendkleid einfach fantastisch aussah. Die Fiedeln spielten auf, und die Gäste begannen sich im Takt der Musik zu bewegen. Frau Schönlacher tappste auf dem Parkett herum wie vom Kreuz gejagt. Dies regte Herrn Hep von Ach so an, daß er sie sofort in einen Nebenraum entführte...
Unterdessen beobachteten Professor Reiser und sein Gehilfe Härle angespannt das Treiben im Ballsaal. Die Gäste amüsierten sich wirklich prächtig. Graf Pichon stand am Ende des Saals, er war in einen Smoking und seinen schwarzen Umhang gekleidet. Als Härle sich plötzlich umwandte, um sich wieder auf einen Erkundungstrip zu begeben, begegnete er dem eiskalten Blick des Grafen. Das nur unzureichend verhüllte Gesicht sah im Schein der Kerzen noch gespenstischere aus als sonst. Ein eisiger Schauer lief Härle den Rücken hinunter, und er fühlte, wie ihm das Blut in den Ader geronn und sein Körper erkaltete.
"Sagt euch etwa der Ball nicht zu?" , erkundigte sich Graf Pichon.
"Nein, ich amüsiere mich prächtig", versicherte Härle, und um seine Antwort zu beweisen, fing er an, mit Professor Reiser zu tanzen. Die Gesellschaft bildete Rosetten und Sterne, und bei jedem Partnerwechsel versuchten sich unsere Helden, an Fräulein Herkommer heranzumachen.
"Wir versuchen, sie zu retten", flüsterte Härle ihr ins Ohr. "Draußen steht ein Schlitten", hauchte Reiser.
"Um 12 Uhr vor dem Tor". Alle Tänzer bildeten eine Gasse und tanzten dann paarweise durch den Zwischenraum. Reiser und Härle tänzelten zwischen Herrn Mantel und Gräfin Finke hindurch (sie mußten sich dabei ducken), sie schritten an Herrn Hep von Ach und Herrn Gerhard vorbei, sie stolperten fast über die Klocks eines Ritters, sie flogen an Doktor Dengler vorbei (er hatte vergessen seinen weißen, blutbefleckten Kittel auszuziehen), sie flogen berauscht von der Musik noch an den letzten Paaren (Ritter Manier, Ritter Keinath, Graf Pichon und Fräulein Herkommer) vorbei und standen vor dem großen Spiegel am Ende des Ballsaals.
Hinter ihnen war es still geworden. Der ganze Saal hielt den Atem an. Herr Härle warf einen Blick auf den Spiegel. Der ganze Saal war leer, bis auf Professor Reiser und ihn.
Herr Härle warf einen Blick zurück in den wirklichen Saal. Der ganze Saal war voller Vampire die ihn böse anstarrten.

Die folgende Flucht soll nur in ein paar Stichworten wiedergegeben werden, um die Aufregung nicht ins unermeßliche steigen zu lassen.
Herr Härle packte sich das Fräulein Herkommer und den Professor Reiser und stürzte aus dem Raum. Den ihn verfolgenden Vampiren warf er mehrere Kleider- und Kerzenständer in den Weg. Mehrere von der Seite anschleichende Vampire bewarf er mit Knoblauch und danach stürzte er sich mit seinen Freunden in den Schlitten und brauste davon.

Der Pferdeschlitten fuhr leise knirschend durch die Landschaft. Ein paar Glocken bimmelten vor sich hin und Herr Härle, der mit Fräulein Herkommer im hinteren Teil des Schlittens saß, kam ihr immer näher. Aber Fräulein Herkommer rutschte nicht etwa zur Seite sondern beugte sich über ihren Retter. Was unser unerfahrene Held nicht sehen konnte, als er auf den Kuß wartete, waren die zwei spitzen Zähne die Fräulein Herkommer entblößte, als sie den Mund öffnete.

Und die Moral von der Geschichte: Vertraue keinem Lehrer, auch nicht wenn er hübsch ist.

Ralf Engels

Alle Personen sind frei erfunden und Ähnlichkeiten mit Lebenden oder Toten sind rein zufällig.
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